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Frankreich: die Kämpfe gegen ungeschützte Beschäftigung



Am 16. Januar 2006 gab Premierminister Villepin mit der Einführung des Contrat Première Embauche (CPE) eine Veränderung des Arbeitsrechts bekannt.  Dieser Vertrag zielt auf junge Leute, unter denen die Arbeitslosigkeit in manchen Vierteln bisweilen 40% erreicht, eine der höchsten Quoten in Europa.
Dieser neue Regelung erlaubt es einem Arbeitgeber in den ersten 24 Monaten, das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Das ist eine Neuheit im französischen Arbeitsrecht: es wird eine rechtliche Ungleichheit zwischen den jungen Leuten unter 26 Jahren und den anderen eingeführt.
Der CPE erlaubt es einem Arbeitgeber auch, den Arbeitsvertrag zu kündigen und der selben Person einen neuen, identischen Vertrag anzubieten, was das unsichere Beschäftigungsverhältnis noch verlängert. Über die Schwierigkeiten für die Jugendlichen hinaus, mit einem solch unsicheren Vertrag angestellt zu werden, wird ein neues Konkurrenzverhältnis zwischen den Arbeitern, die klassische, oft besser geschützte, Arbeitsverträge haben, und den jungen Leuten mit dem CPE erzeugt.

Allgemein betrachtet ist dieser Vertrag ein neuer Versuch die ungeschützte Beschäftigung auszudehnen und sie im Arbeitsrecht festzuschreiben, ohne die Schwierigkeiten der Jugendlichen zu beseitigen. Er reiht sich ein in eine Folge jüngst erfolgter Maßnahmen der Regierung, wie der Senkung des Mindestalters für Lehrlinge oder den Contrat Nouvelle Embauche (CNE), der eine zweijährige Probezeit vor einer festen Einstellung einführte. Bereits dieser Vertrag verwehrt es Arbeitnehmern zwei Jahre lang zu streiken, krank zu sein, schwanger zu werden...andernfalls...

Einige Tage nach Bekanntgabe des CPE regte sich zaghafter Widerstand. Die Studenten waren am entschlossensten, da sie am stärksten von diesen Regelungen betroffen sein werden. Es fanden erste Demonstrationen statt und der 7. Februar wurde zum nationalen Protest- und Streiktag für die Arbeitnehmer und die Universitäten ausgerufen. Die Winterferien ließen den Widerstand nicht abflauen. Trotzdem führte die Regierung am 10. Februar mit ihrer parlamentarischen Mehrheit den CPE ein. An den darauffolgenden Tagen gingen die Demonstrationen weiter, Universitäten wurden besetzt. Am 7. März mobilisierte ein Aktionstag knapp eine Million Menschen, um für die Rücknahme des CPE zu demonstrieren. Am 9. März erklärte die Abgeordnetenkammer den CPE definitiv für gültig, während die Wut überall anwuchs. Die Streiks im Bildungssektor zur Unterstützung der Studenten vervielfachten sich und jetzt wurden überall im Land  auch Gymnasien besetzt. Am 16. März gab es eine neue landesweite, sehr starke Mobilisierung der Studenten, diesmal zusammen mit den Gymnasiasten, die endlich auch handelten. Bisweilen kam es zu Ausschreitungen als Reaktion auf die Unfähigkeit der Regierung, ihre Position zu überdenken oder in Folge von Versuchen bewaffneter rechtsextremer Kommandos, “die Unis von den Linken zu befreien”. Am 18. März gingen dann mehr als eine Million Menschen in Frankreich auf die Straße, 60 Universitäten wurden besetzt oder geschlossen. Die Mobilisierung lässt nicht nach, im Gegenteil. Während diese Zeilen geschrieben werden, mobilisieren gerade alle gewerkschaftlichen Organisationen von Arbeitnehmern und Studenten zu einem neuen Aktionstag am 28. März. Bis dahin rufen die Koordinationen der streikenden Studenten und die gewerkschaftlichen Organisationen der Gymnasiasten zum Generalstreik und zur Blockade der Gymnasien und Universitäten auf.


Das Ende einer Periode von Niederlagen

Diese Bewegung reiht sich in den sozialen Widerstand ein, der in Frankreich zu erstarken scheint. Am 4. Oktober 2005 fanden Streiks und Demonstrationen gegen ungeschützte Beschäftigung und für die Beibehaltung der staatlichen Dienstleistungsbetriebe statt. Dann, einige Wochen später, trugen die Jugendlichen in den Vorstädten ihre Wut und ihre Verzweiflung auf die Straße, indem sie die Obrigkeit angriffen. Und jetzt sind es die Studenten, die die Arbeitnehmer mit sich reißen. Diese Situation, die bisher noch nie zu beobachten war, weder im Mai 68 noch in einem vorrevolutionären Prozess, zeigt, dass das soziale Bewusstsein nicht tot ist. Nach und nach weiten sich die Forderungen aus: Demonstrationen, Vollversammlungen der Studierenden... schlagen jetzt eine Brücke zu ungeschützter Beschäftigung im Allgemeinen, oder den Auswirkungen der Repression, die 2005 die Jugendlichen der Vorstädte aufgebracht hat.  Durch die allgemeineren Forderungen entsteht konkret eine bewegungsübergreifende Solidarität.

Im Allgemeinen sind die Studenten sonst sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Zuweilen kommt es vor, dass sie Kontakte mit gewerkschaftlichen Arbeitern ablehnen! Sie misstrauen politischen Organisationen und Gewerkschaften und haben ihre eigene landesweite Koordination aufgebaut. Nicht zu Unrecht: die Widerstandsbewegung gegen den CPE wird durch Politiker der Linken und extremen Linken gewerkschaftlich dominiert.  Das Ziel dieser gewerkschaftlichen Repräsentaten der Führung der Linksparteien ist es, die öffentliche Meinung im Hinblick auf die Wahlen von 2007  (ca. 68% sind gegen den CPE!) gegen die Regierung zu lenken. Also die Bewegung zu kontrollieren, die jedoch zögerlich bleibt, angesichts der Unfähigkeit der Gewerkschaften, einen Generalstreik für die Rücknahme des CPE auszurufen.

Diese Radikalisierung der Bewegung wird von einem Teil der Öffentlichkeit gewünscht. Zunächst von den Studenten, die teilweise schon seit  fünf Wochen kämpfen, dann von einem zunehmenden Teil der Öffentlichkeit, die die Weigerung Villepins nicht versteht, sein Projekt zurückzuziehen.
Unglücklicherweise weigern sich die Gewerkschaftsbürokratien in ihrer Vorsicht, die wenn auch ungleiche soziale Ordnung nicht zu destabilisieren, in die entscheidende Schlacht zu ziehen.  Die grundlegenden Kritiker der großen Gewerkschaften, die alternativen Gewerkschaften Sud und die französische CNT, welche mit AnarchistInnen kooperiert, können diese Tendenz nicht umkehren. Die Regierung weigert sich nachzugeben, womit ein sozialer Zermürbungskrieg geführt wird. Doch der Sieg gegen den CPE  ist notwendig - auch, weil andernfalls viele GewerkschafterInnen und AktivistInnen wieder von einer neue Phase der Deprimierung und tiefen Entmutigung ergriffen werden würden. Das soziale Erwachen von 2005 und 2006 folgt auf eine Reihe düsterer Jahre mit zahlreichen sozialen Einschnitten ohne entsprechende Gegenwehr, als ob die Ausgebeuteten nicht mehr an ihre Fähigkeit geglaubt hätten, etwas bewegen zu können...

Das ist keine Revolution!

Doch es bestehen die besten Aussichten! Wie immer in lange andauernden Kämpfen wächst das kollektive Bewusstsein schnell; die politischen Widersprüche treten hervor, die Lehre der direkten Demokratie, die Praktiken von Selbstverwaltung und Kollektivität, das Behaupten der Unabhängigkeit, die Debatten über die Vorstellungen von den Profiteuren und den Opfern der ungeschützten Beschäftigung, ... blühen auf. Eine neue Generation ist dabei sich stark und praxisbezogen zu politisieren. Viele sind empfänglich für Ideen, die kämpferische, antikapitalistische, libertäre Perspektiven eröffnen.

Im Moment sind die AnarchistInnen und AnarchosyndikalistInnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten an dieser gewaltigen Widerstandsbewegung beteiligt. Sie forcieren die Bewegung und beteiligen sich an der Organisation und an der Kommunikation, z.B. in den Vollversammlungen, bei der Selbstverwaltung und bei der Unabhängigkeit der Kämpfe, bei der Sensibilisierung der Bevölkerung für den uneingeschränkten Generalstreik, indem sie ihre eigenen starken Ideen auf Demonstrationen einbringen: den Generalstreik gegen das Kapital, das ausbeutet, und den Staat, der überwacht und unterdrückt, und die Selbstverwaltung von Produktionsmitteln, Verteilung und Bildung!

Daniel (Aktivist der Französischsprachigen Anarchistischen Föderation), den 20. März 2006